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Dialekt und Sprachschatz

| Tabea Anderfuhren | Leben mit Demenz
Dialekt und Sprachschatz

Frau L. ist normalerweise leidenschaftliche Teilnehmerin der wöchentlichen Singstunde. In der einen Woche jedoch war sie sehr schlecht gelaunt.

Sie äusserte immer wieder Dinge wie: «Es hat ja sowieso keinen Zweck mehr.» und «Ich bin eingesperrt.» und «Ich sterbe sowieso bald.»
Eine Pflegerin, die gebrochen Deutsch spricht, wollte sie immer wieder zum Trinken bewegen. Dazu hielt sie Frau L. den Teebecher einfach vor den Mund und sagte zum Beispiel: «Bitte, trinken, Frau L..» Frau L. wehrte unwillig ab.
Ebenso versuchten die Pflegerinnen Frau L. zum Singen zu animieren, waren in diesem Moment aber nicht in ihrer Nähe, sondern weiter weg im Raum.

Nach ein paar Liedern ging ich zu Frau L. und fragte sie, ob ich mich zum Singen zu ihr setzen dürfte. Sie willigte ein. Langsam fing sie an, die Lieder zu summen und zu erzählen, wie sie als Kinder immer gesungen hätten. Dabei wurde ihre Aussprache immer klarer.
Ich fragte sie deutlich, ob ich ihr wohl einen Schluck Tee anbieten dürfe. Sie erwiderte, ja, das gehe, sie habe ja gerade frischen aufgesetzt. Sie trank den halben Becher Tee leer, während wir über frischen Tee und Kaffee sprachen.
Beim zweiten Mal antwortete sie: «Ja gerne, wenn Ihr auch einen nehmt.»
Ich nahm meinen Wasserbecher und wir prosteten einander zu.

Mir wurde eindrücklich bewusst, wie unsere Muttersprache zur klaren Verständigung mit demenziell erkrankten Menschen beitragen kann. Das Verständnis von Dialektwörtern und älterem Sprachschatz, der heute nicht mehr verwendet wird, kann viel zu einem Bindungsaufbau zur betroffenen Person beitragen.