Skip to main content

Tipps

Zwischenmenschliche Interaktion ist das A und O.

Kontaktaufnahme

Es beginnt mit der Kontaktaufnahme. 

Wie wir alle schätzen es auch Menschen mit einer Demenzerkrankung respektvoll begrüsst zu werden.

Der Händedruck ist in unserem Kulturkreis seit frühester Kindheit die vertrauteste Form, eine Person zu begrüssen. Fast jeder Mensch mit Demenz kann darauf reagieren, selbst wenn er/sie körperlich schon stark eingeschränkt ist. Der Händedruck ist wertschätzend und respektiert eine uralte Begrüssungsform.

Ich erlebe den traditionellen Händedruck in den Singstunden als die beste Kontaktaufnahme, weil ich jeder Person einen Moment Zeit schenke und mich so dem Tempo der Kommunikation jedes Einzelnen anpassen kann.

Während Frau H. viel Zeit braucht, den Gruss zu erwidern, ihre Freude über meine Anwesenheit aber jede Woche ausdrückt, redet Frau S. angeregt und viel, obwohl ihre Sprachfähigkeit bereits eingeschränkt ist. Der persönliche Gruss jedoch freut sie ungemein, so dass sie jedesmal etwas Persönliches von sich erzählt, auch wenn es auf den ersten Eindruck nicht immer Sinn ergibt.

Entschleunigung im Gespräch

Wie oft musste ich mich schon «an der Nase» nehmen, weil ich in einem Gespräch mit einer älteren Person etwas erwidern wollte, nur um zu merken, dass ich dabei war, dieser Person ins Wort zu fallen.

Ältere und hoch betagte Personen lehren uns, geduldig zu sein und zuzuhören. Sie bringen uns bei, dass sie oft unsere Hilfe gar nicht benötigen, ein Wort zu finden, wenn wir ihnen nur genug Zeit lassen. Wir lernen, wann welche Hilfe wertgeschätzt wird und wann sie bevormundend wirkt.

Je besser wir einen Menschen kennen, desto besser wissen wir, ob es angebracht ist, ein Gespräch führen zu helfen, wie viel Hilfe die Person im Moment mit der Wortfindung wünscht und in welchem Grad wir einfach Zuhörer sein sollen.
Ein spannender, lehrreicher Prozess.

Die eigenen Wahrheiten

Frau L. bekam ihre Tasse Kaffee vor sich hingestellt. Daneben stand der Tee und das Dessert. Es war offensichtlich, dass Frau L. im Moment nicht wusste, was anzufangen sei mit diesem Angebot.

Daneben wurde eine Tasse Kaffee für mich hingestellt. Ein wenig später nahm ich sie zu mir, um sie auf mein Tischchen zu stellen, auf dem mein Liederordner lag. Verstimmt beugte sich Frau L. zu ihrer Mitbewohnerin und klagte: «Jetzt hat dieses Fräulein mir den Kaffee gestohlen.».

Ich ging auf Augenhöhe und sagte: «Oh, Frau L., habe ich Ihnen einfach Ihren Kaffee weggenommen? Das tut mir sehr leid! Das war nicht nett!». Sie strich mir über den Arm und sagte, es sei schon gut. Ich fragte sie, ob ich den Kaffee behalten darf, und sie bejahte.

Danach war sie in sehr guter Stimmung und sang und redete angeregt mit mir. Ihr Dessertangebot benutzte sie nach wie vor nicht – die Auswahl war heute zu gross.

Bei einer Demenzerkrankung ist immer die eigene Wahrheit die Richtige. Argumentieren, vom Gegenteil oder der Realität zu überzeugen, hilft und bringt nichts. Es verunsichert und schürt bei der von der Krankheit betroffenen Person Ängste und Wut. Sie versucht nicht, uns zu verletzen. Sie versucht, sich zurechtzufinden in einer Welt, die ihr entgleitet.

Musik als Ersatz für Medikamente

Es ist ein Fakt, dass in der Schweiz zu oft und unnötig Menschen mit Demenzerkrankung mit Ruhigstellern behandelt werden. Dabei ist sich die Fachwelt einig, dass milieutherapeutische Massnahmen einen derart positiven Einfluss auf Menschen mit Demenzerkrankung haben können, dass damit sogar die Gabe von Neuroleptika ersetzt werden kann. Sie mindern oder verhindern also sogenannte «Verhaltensstörungen».

Zu diesen milieutherapeutischen Massnahmen gehören zum Beispiel Tiere, Kinder oder eben die Musik.

Musik steigert sogar die kognitive Leistung. Ein Instrument zu spielen kann präventiv gegen eine Demenzerkrankung wirken und auch bei fortgeschrittener Demenz tauen Patienten regelrecht auf, wenn sie die für sie persönlich richtige Musik zu hören bekommen.

 

Was ist die «richtige» Musik?

Die Biografie eines erkrankten Menschen ist das ­tragende ­Gerüst, auf dem Sie die ­persönliche Interaktion auf­bauen können.

Besonders die Erinnerungen und Lebensumstände aus den ­formativen Jahren, also grob vom dem 15. bis zum 25. Lebensjahr, sind von Bedeutung. Gemäss aktueller Forschung können sie einer Demenzerkrankung ­besonders gut trotzen.

Die Musikauswahl soll ­gefallen­, Bedeutung im Leben gehabt ­haben und darf Stimmungen ­auslösen. Auch Traurigkeit kann gut ausgedrückt werden.

Mit einer Demenzer­krankung wechselt die Tagesform genau so wie bei einem gesunden Menschen. So ist es möglich, dass nicht immer die gleiche Musik ­beruhigend oder stimmungs­aufhellend wirkt. Es gilt, sich mit Feingefühl, mit Zeit und Humor mit Ihrem ­anvertrauten Gegenüber und der ausgewählten Musik ­auseinanderzusetzen.

Verloren geglaubte Fähigkeiten wie klar formulierte Sätze bei Aphasie, ruhige Bewegungen bei Parkinson oder ganz allgemein wache Momente können durch das Hören, Singen oder Spielen geliebter Musik für eine Zeitdauer wieder aktiviert werden.

 

Wie finde ich die «richtige» Musik?

Am einfachsten wäre es, einfach nach der Lieblingsmusik zu fragen. Menschen mit einer ­Demenzerkrankung können­ ­jedoch oftmals nicht mehr auf offene Fragen klar antworten.

Besser ist es, einfach damit anzufangen, unserem ­Gegenüber Lieder aus der ­prägenden Zeit vorzuspielen. Diese Musik wirkt dann wie ein Tor zur ­Erinnerung.

Wenn Gespräche nicht mehr möglich sind, können wir auf das Gesicht, die Hände oder die Füsse achten. Wenn die Person sich verkrampft, sollten wir die Musik wechseln. Ist sie aber relaxt und friedlich, dann haben wir ein «richtiges» Musikstück gefunden.

Das Ganze ist zweifelsohne eine Herausforderung, aber wenn wir dann mit einem Lächeln belohnt werden, ist doch das der schönste Lohn.